TKG-Novelle: Angriff auf die freie und sichere E-Mail-Kommunikation

Heute morgen wurde im Deutschen Bundestag die finale Version des neuen Telekommunikationsgesetzes beschlossen. Es dauerte mehrere Jahre, die Novelle des TKG zu verfassen, nun drückt die Große Koalition in den letzten Monaten ihrer Legislaturperiode mächtig aufs Tempo.

Auch mailbox.org-CEO Peer Heinlein wurde als Sachverständiger gehört und im Ausschuss u.a. von Anke Domscheit-Berg [Die LINKE] ausgiebig befragt – und hatte leider reichlich Grund zur Kritik „Dieser Entwurf verspielt die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“.

Auf den letzten Metern wurde der Entwurf, auch durch Einflussnahme des von Horst Seehofer geführten Innenministeriums, aber entgegen dem Rat der Experten noch stark verschärft. Alles in allem birgt das neue Gesetz eine Vielzahl drastischer Einschnitte und zusätzliche Überwachungsansätze.

„Es schwächt die digitale Souveränität Deutschlands“

Das neue TKG untergräbt die wirtschaftliche und digitale Souveränität deutscher Unternehmen, auch weil es alleine deutsche Provider verpflichtet, auf eigene Kosten an der Überwachung mitzuwirken, erklärte Peer Heinlein auch dem Ausschuss in seiner Stellungnahme.

Heinlein heute: „Dass die GroKo ein schlechtes Gewissen haben muss, weiß sie offensichtlich selbst. Nicht anders ist es zu erklären, dass die letzten Änderungsvorschläge nur wenige Stunden vor der finalen Abstimmung verteilt wurden – bei immerhin 500 Seiten Umfang, so dass alle Sachverständigen kaum Zeit hatten, detailliert Stellung zu nehmen. Gerade angesichts der Schwere der Grundrechtseingriffe wäre hier ein sauberer demokratischer Prozess mit guter Beratung und Abwägung notwendig gewesen.“

Dank mailbox.org: Sicherheit bei TKÜV, keine Ausweispflicht für E-Mail-Dienste

mailbox.org-CEO Peer Heinlein hatte als einziger Sachverständiger die geplante Aufweichung der 100.000-Nutzer-Grenze bei automatisierten Überwachungsmaßnahmen thematisiert und erfolgreich eine Änderung bewirkt. Peer Heinlein dazu: „Eine Absenkung der Grenzwerte konnten wir verhindern und sogar erreichen, dass die bisherige Regelung deutlich verlässlicher ausgestaltet ist: Statt des bisherigen unklaren Begriffs der „100.000 Nutzer“ wurde aus unserer Stellungnahme der Begriff der „100.000 Vertragspartner“ übernommen – eine wichtige Klarstellung für Anbieter mit großen Geschäftskunden. Bedauerlich bleibt jedoch, dass die von uns und dem Eco e.V. geforderte notwendige Anhebung auf 3 Millionen Kunden unberücksichtigt geblieben ist.“

Ebenso hat Heinlein als Sachverständiger immer wieder massiv gegen Seehofers Plan Stellung bezogen, Anbieter von E-Mail-Diensten zu verpflichten, ihre User vorab per Ausweis zu identifizieren (Süddeutsche, Heise Online). „Auch hier konnten wir uns durchsetzen, von dem Versuch ist im finalen Entwurf nichts mehr zu sehen.“ Eine Ausweispflicht würde an den Grundfesten des Internets rütteln und wäre mit Blick auf die Gedanken- und Meinungsfreiheit stark verfassungsrechtlich bedenklich. „Obwohl der Gesetzgeber ausdrücklich eine Nutzung des Internets mit Pseudonymen vorsieht, wollte Horst Seehofer hier eine volle Identifizierungspflicht für Nutzer von Mail- und Chat-Diensten einführen. PostIdent und anonyme Nutzung – das passt nicht zusammen.“ Dabei bezieht sich Heinlein auf Paragraph 2 aus Seehofers „Formulierungshilfen“, der den Titel trägt „Nummernunabhängige TK-Dienste zur Speicherung von Identifizierungsmerkmalen“.

Ungeeignete Maßnahmen, viel Kollateralschaden: „Eine Katastrophe!“

Heinlein nennt den neuen Entwurf, der am Donnerstag beschlossen wurde, dennoch eine Katastrophe: „Trotz einschneidender Maßnahmen sieht der Gesetzgeber keine Evaluierung vor, ob die gewählten Maßnahmen überhaupt geeignet sind, Kriminalität im Internet zu bekämpfen. Es finden einfach zu starke Eingriffe in die Grundrechte normaler Bürger statt. Was die Groko hier beschließt, richtet sich gegen die freie Kommunikation und gegen die von der Bundesregierung selbst gewünschte digitale Souveränität.“

Weiterhin enthalten sind pauschale Angriffe auf Sicherheit und Verschlüsselung der zukünftigen Mobilfunknetze und neue Regeln zur Bestandsdatenauskunft, Passwortherausgabe sowie immer noch eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Peer Heinlein ist sich sicher: „Vieles aus dem Entwurf soll an Experten und Politik vorbei beschlossen werden. Möglichst schnell, damit sich keine öffentliche Debatte entwickelt. Statt in einem sauberen demokratischen Prozess Experten zu hören und sauber abzuwägen, wird es am Ende Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, die Maßnahmen auf ein zulässiges Maß zurechtzustutzen. Das aber dauert viel zu lange und ist kein akzeptabler Weg.“

Dazu kommen Unstimmigkeiten, wenn bei automatisierten Auskunftsverfahren andere Regeln gelten sollen, als bei manuellen Auskünften. „Obwohl der neue §174 III Nr. 2 bei automatisierten Auskunftsverfahren einen expliziten Katalog schwerer Straftaten als Zugriffs- und Verwertungsvorschrift nennt, fehlt die entsprechende Regelung bei manuellen Auskunftsverfahren des §173. Hier bleibt unklar, ob die GroKo tatsächlich von unterschiedlichen Auskunftsvoraussetzungen ausgeht. Es bleibt abzuwarten, wie Gerichte auch hier korrigierend eingreifen und entsprechende gleiche Beschränkungen für §173 fordern“, erklärt Heinlein.

Der alte Zombie Vorratsdatenspeicherung…

Und auch die Vorratsdatenspeicherung ist nach wie vor enthalten, obwohl sie seit Jahren in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorliegt und die Vorgängerregelung schon seit Jahren ausgesetzt ist. mailbox.org ist hier einer der Beschwerdeführer unserer im Jahr 2016 eingereichten und bis heute unverhandelten Verfassungsbeschwerde.

„Erneut und ungeachtet zahlreicher, vorhersagbarer Niederlagen vor Gericht, nach verlorenen Rechtsstreits über Jahrzehnte und durch alle Instanzen hat der Gesetzgeber auch 2021 einen neuen Anlauf genommen, eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung (VDS) ins Gesetz einzubauen (§175 TKModG-E). Auch frühere Versionen der Vorratsdatenspeicherungen wurden bereits in Karlsruhe als verfassungswidrig kassiert – jetzt wäre es an der Zeit gewesen, die VDS endgültig zu begraben und die Verfassung zu achten“, so Heinlein.

„Notwendige Änderungen wurden nicht vorgenommen“

Zu einem ähnlichen Fazit kommt auch die Opposition im Bundestag. mailbox.org hat unter anderem Konstantin von Notz, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag, um eine Stellungnahme zur TKG-Novelle gebeten. Er bringt es wie folgt auf den Punkt:

„Das Vorgehen von CDU/CSU und SPD beim Telekommunikations-Modernisierungsgesetz hat mit guter Gesetzgebung wenig zu tun. Es handelt sich zweifellos um ein extrem wichtiges Gesetzesvorhaben. Die Umsetzung des EU Kodexes Telekommunikation in deutsches Recht und eine Angleichung der Regelungen an die DSGVO sind seit Jahren überfällig.

Die Folge des Nicht-Agierens der Bundesregierung war eine massive Rechtsunsicherheit. Darauf hat der Datenschutzbeauftragte mehrfach hingewiesen und wiederholt eine zügige Umsetzung angemahnt.

Passiert ist nichts.

Nun, in der allerletzten Schlaufe der Legislaturperiode, hat die Bundesregierung eine rund 500 Seiten umfassende Regelung vorgelegt. Den selbstverschuldeten Zeitdruck hat sie an Zivilgesellschaft und Verbände weitergegeben. Ein ordentliches Gesetzesverfahren war und ist das nicht. Es bestehen weiterhin teils immanente verfassungsrechtliche Bedenken.

Nur ein Beispiel: Unbeirrt von allen höchstrichterlichen Urteilen der letzten Jahre und in Kürze anstehenden Entscheidungen schreibt die GroKo erneut die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ins Gesetz. Die Kritik der Sachverständigen in der Anhörung war harsch. Dennoch wurde sie nicht aufgegriffen. Notwendige Änderungen wurden nicht mehr vorgenommen.“

Autor: Markus Feilner

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