Interview mit Datenschutzexperte Manuel Atug

Seit 16 Jahren findet am 28. Januar der "Internationale Datenschutztag" statt, eine vom Europarat als "Übereinkommen 108" ins Leben gerufene Initiative, mit prominenter Unterstützung in Politik und Wissenschaft. So engagiert sich z.B. auch dieses Jahr der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, mit einer Videokonferenz. Auch mailbox.org unterstützt den Datenschutztag und die damit verbundene Aufmerksamkeit für den Schutz persönlicher oder auch unternehmerischer Daten. Denn Datenschutz ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer und immer wieder neu eingefordert werden.

Die Wurzeln des Begriffs "Datenschutz" reichen zurück in die 80er Jahre: In der Folge der Volkszählung erkannte das Bundesverfassungsgericht 1983 das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" als Grundrecht an, ab 2016 sorgte die Datenschutz-Grundverordnung des Europäischen Parlaments für Diskussionen, Applaus und Kritik – und etablierte erstmals wirkmächtige und umfassende Strafen bei Nichteinhaltung. Seitdem sind Datenschutz und Angebote wie die von mailbox.org keine Nische mehr, sondern Privatpersonen, Unternehmen und Behörden haben erkannt (oder mussten erkennen), wie wichtig er ist. Für mailbox.org gehört Datenschutz zur DNA, daher beteiligen wir uns aktiv im politischen/gesetzgeberischen Prozess, z.B. an der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung und als angehörter Sachverständiger zur TKG-Novelle im Ausschuss des Deutschen Bundestags.

 

Manuel Atug, IT-Sicherheitsberater und Sprecher der AG KRITIS

Interview mit Manuel Atug

Anlässlich des Datenschutztags 2022 haben wir uns mit Manuel Atug, IT-Sicherheitsberater und Sprecher der Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen (AG KRITIS) über den aktuellen Stand in Sachen Datenschutz unterhalten. Atug ist mit seinem Twitter-Account @honkhase oder durch sein Engagement beim CCC regelmäßig als Experte in Sachen IT-Sicherheit und Datenschutz in Politik und Medien präsent.

mailbox.org: Manuel, wenn man manchen Medien glaubt, dann hat der Datenschutz 2022 schlechtes Karma. Neulich gab es einen Artikel bei Heise, wo Sascha Lobo meinte, der Datenschutz stehe uns überall nur im Weg und behindere den Fortschritt. Ist das so, ist das nicht auch an den Wünschen der Menschen vorbeigedacht?

Manuel Atug: Datenschutz ist oft nur noch die letzte Instanz, die etwas gegen Abläufe kommuniziert, die nicht akzeptabel sind. Denn vorher können sich unsaubere Prozesse und Unternehmen durchschlängeln und durchwursteln. Das er von so agierenden Akteuren als Behinderung auf dem Weg zum schnellen Euro gesehen wird und "doof" ist, ist dann nur zu verständlich. Anders herum: Wer etwas Tolles erschaffen hat, das den wirklichen Bedarf der Menschen adressiert, ist noch nie an einem Datenschutzproblem gescheitert. Nein, er hat ihn frühzeitig integriert und berücksichtigt.

mailbox.org: Haben wir denn was gelernt, oder ist es schlimm bestellt um den Datenschutz? Was waren denn die wichtigsten Entwicklungen, was hat sich geändert?

Manuel Atug: Dem Framing des bösen Datenschutz müssen wir uns weiterhin klar entgegen stellen, denn er ist gut und hilfreich. Die Digitalisierung hat den Datenschutz wichtig werden lassen, damit wir nicht noch mehr zum gläsernen Bürger werden und alles mit unseren Daten zahlen, da Daten das neue Öl geworden sind. Von daher bin ich sehr dankbar, dass es den Datenschutz gibt. Er stellt sicher, dass wir Bürger den notwendigen Schutz erhalten.

mailbox.org: Was sind denn die größten Baustellen derzeit, wo drückt der Schuh am schlimmsten?

Manuel Atug: Gefährliches Halbwissen kombiniert mit Profitgier sind ein Problem. Wer Datenschutz versteht und umsetzt, kann ebenfalls Geld verdienen und tolle Produkte schaffen. Das scheint nur nicht bei allen Unternehmen angekommen zu sein, die lieber einen schnellen Euro einnehmen möchten. Wenn da Alternativen zur Verfügung stehen, können Bürgerinnen aus einem breiten Angebot auswählen und Auswahl war noch nie ein Nachteil.

mailbox.org: Langfristig gedacht, was glaubst Du sind die wichtigsten strategischen Entscheidungen oder Ansätze, die wir verfolgen sollten? Welche davon sind realistisch? Sind global einheitliche Regelungen denkbar/wünschenswert/möglich?

Manuel Atug: Es ist und wird zunehmend wichtig, den Datenschutz international zu etablieren, damit es für alle normal und wünschenswert ist. Selbst in den USA gibt es inzwischen immer mehr Staaten, die Datenschutz gesetzlich einbringen und für ihre Bürger etablieren. Davon brauchen wir mehr.

mailbox.org: Aber die EU-Kommission will Einblick in verschlüsselte Chats, die Vorratsdatenspeicherung ist aber tot – oder?

Manuel Atug: Ideen wie die der Kommission, eine totale Chatkontrolle etablieren zu müssen, was eine wirksame Verschlüsselung untergräbt, sind eine Gefahr für unser aller Sicherheit. Die VDS ist - glaubt man dem Koalitionsvertrag - endgültig vom Tisch, auch wenn in Europa noch gestritten wird. Beides zeugt vom Mangel an Verständnis und Einsicht in die technischen Hintergründe bei den Entscheidern. Diese Überzeugungsarbeit zu leisten ist ein großer Brocken, der vor uns liegt.

 

Das Interview führte Markus Feilner