18 Jahre Streit um die Vorratsdatenspeicherung

Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung (neu:“Speicherpflicht für Verkehrs­daten“) dauert inzwischen 18 Jahre. Derzeit ist dieses Thema wieder aktuell, die Bundes­regierung hat ein entsprechendes Gesetz kurzfristig im Bundestag verabschiedet und strebt nun den weiteren Gesetzgebungsprozess im Bundesrat an.

Im Rahmen der „Speicherpflicht für Verkehrs­daten“ sollen die sogenannten „Metadaten“ der Kommunikation gespeichert werden. Internet Access Provider sollen die IP-Adressen bzw. eindeutig identifizierbare Kennungen ihrer Kunden 10 Wochen lang speichern, Telefonanbieter sollen ebenso 10 Wochen speichern, wer mit wem telefoniert, und Mobilfunk-Anbieter sollen außerdem 4 Wochen lang die Standortdaten ihrer Kunden protokollieren.

Die Inhalte der Kommunikation (Telefon­gespräche, aufgerufene Webseiten, Chatprotokolle, E-Mails) sollen nicht gespeichert werden. Die Metadaten (wer kommuniziert mit wem) liefern aber auch ohne Kenntnis der Inhalte viele Informationen, die leicht automatisiert ausgewertet werden können. Sie sind insbesondere für Geheim­dienste im Rahmen der Kommunikations­analyse interessant.

 

18 Jahre Streit und kein Ende

Um die Einführung der Vorrats­daten­speicherung wird seit 18 Jahren gestritten:

  • Bereits 1997 hat der Deutsche Bundestag einen ersten Entwurf zur Vorrats­daten­speicherung abgelehnt.
  • 2002 hat der Deutsche Bundestag einen vergleichbaren Gesetzentwurf wieder abgelehnt und als unvereinbar mit dem Grundgesetz bezeichnet. Außerdem wurde die Bundes­regierung beauftragt, gegen eine geplante Richtlinie zur VDS auf EU-Ebene zu stimmen (Bundestag Drucksache 14/9801).
  • Das EU-Parlament hat Ende 2005 mit der Mehrheit der Sozial- und Christdemokraten die Richtlinie zur 6-monatigen Daten­speicherung der Verbindungs- und Standortdaten beschlossen (Directive 2006/24/EG). Da diese Richtlinie als „Regulierung des Binnenmarktes“ deklariert wurde, war eine Umsetzung in nationale Gesetze für die Länder der EU verpflichtend.
  • Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat 2006 ein Rechts­gutachten mit schweren verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die VDS vorgelegt. In dem Gutachten heißt es wörtlich:

    „Es bestehen Bedenken, ob die Richtlinie in der beschlossenen Form mit dem Europarecht vereinbar ist. Dies betrifft zum einen die Wahl der Rechtsgrundlage, zum anderen die Vereinbarkeit mit den im Gemeinschafts­recht anerkannten Grundrechten.“

  • Vom Januar 2009 bis März 2010 war die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland für Telekommunikations­anbieter verpflichtend. Die Kriminalitätsstatistik des BKA zeigt im Vergleich mit anderen Jahren, das diese Speicherung der Telekommunikations­daten NICHT zu einer Verbesserung bei der Aufklärung von Straftaten führte. Vorratsdaten­speicherung erhöht Aufklärungs­quote bestenfalls um 0,06%
  • Das Bundesverfassungsgericht entschied im März 2010, dass das Gesetz zur Vorratsdaten­speicherung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. (Az: 1 BvR 256/08)
  • Das renommierte Max-Planck-Instituts (MPI) für ausländisches und internationales Strafrecht kam 2012 in einer wissenschaftlichen Analyse zum dem Schluss, dass es auch ohne Vorrats­daten­speicherung keine „Schutzlücke“ in der Straf­verfolgung gibt. Die in den Medien zitierten, teilweise spektakulären Einzel­fälle begründen nach Meinung der Wissenschaftler keine Notwendigkeit der Vorrats­daten­speicherung für die Strafverfolgung.
  • 2012 sollte die Vorratsdatenspeicherung auf internationaler Ebene durch die UNODC eingeführt werden. Bei der Präsentation der Vorschlags der UNODC war auch der Präsident des Bundesamt für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen anwesend, der den Vorschlag ausdrücklich begrüßte.
  • 2014 wird die Directive 2006/24/EG zur 6-monatige Datenspeicherung der Verbindungs- und Standort­daten in allen EU-Ländern durch den EuGH als unvereinbar mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bezeichnet und aufgehoben. (C-293/12 und C-594/12)

 

Kritische Stimmen werden ignoriert

Jetzt gibt es einen neuen Anlauf, ein Gesetz zur „Speicherpflicht für Verkehrs­daten“ im Eiltempo durch den Gesetzgebungsprozess zu peitschen. Und das gegen alle kritischen Stimmen, die allesamt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes äußern.

Unabhängig von den vielen technischen Unklarheiten im vorliegenden Gesetzentwurf kommentierte Ulf Buermeyer (ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts und Richter am Landgericht Berlin):

„Denn scheinbar akribisches Abschreiben von ausgewählten Details aus den Urteilen des BVerfG und des EuGH kann eine überzeugende Antwort auf zwei Fragen nicht ersetzen: Warum eine nicht einmal nachweisbar wirksame Maßnahme verhältnismäßig sein soll und ob die Überwachungs-Gesamtrechnung nicht ergibt, dass unser Gemeinwesen längst weit in den roten Bereich gedriftet ist, was die Achtung der Privatsphäre angeht.“

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kommentierte den vorliegenden Gesetzentwurf als unverhältnismäßig:

„Die im Gesetzentwurf vorgesehene anlasslose und flächendeckende Speicherung von Telekommunikations- und Internetdaten ist gemessen an den Vorgaben der zitierten höchstrichterlichen Urteile unverhältnismäßig.“

Und die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger kommentierte den aktuellen Entwurf der Bundes­regierung ebenfalls als verfassungswidrig:

„Wenn die Standortdaten von allen Bundesbürgern erfasst werden, dann übertrifft das sogar die alte Vorrats­daten­speicherung der großen Koalition, die verfassungswidrig war.“

 

E-Mail-Provider sind nicht verpflichtet

E-Mail-Provider wie mailbox.org sind in dem vorliegenden Entwurf zur „Speicher­pflicht für Verkehrs­­daten“ ausdrücklich ausgenommen und sollen nicht zur Vorrats­datenspeicherung verpflichtet werden. Für Geheimdienste (im Gesetzesentwurf als „Gefahren­abwehr­dienste“ bezeichnet) ist diese Einschränkung aber nur ein geringes Hindernis. Bis auf wenige privacy-freundliche E-Mail Provider wie mailbox.org schreiben die meisten E-Mail Provider ihre IP-Adresse in den Header jeder versendeten E-Mail und tragen diese Metadaten damit freiwillig in alle Welt. Damit sind die Meta-Daten die ein E-Mail Provider speichern könnte bereits öffentlich sichtbar und müssen nicht mehr beim Mail­provider abgefragt werden.

 

Übrigens: mailbox.org und Heinlein Support unterstützen den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (zu dem Organisationen wie Digitialcourage e.V. gehören), in dem wir dessen Mailinglisten betreiben.