Hektisch durch die Hintertür: Neues G-10-Gesetz will Nutzer direkter überwachen

Am Donnerstag, dem 10. Juni hat der deutsche Bundestag mit den Stimmen der SPD, CDU und CSU den breiten Einsatz von Staatstrojanern beschlossen. Mit einem erneut unter großem Zeitdruck, kurz vor der Abstimmung verschärften Änderungsantrag wurde ein Gesetzesentwurf beschlossen, der weit über vorherige Absprachen hinausgeht und auch innerhalb der Regierungskoalition stark umstritten war. Auch wenn App-Anbieter und Maildienste wie mailbox.org explizit ausgenommen sind, untergräbt diese Gesetzgebung die Sicherheit und das Vertrauen der Internetprovider massiv, erklärt Peer Heinlein.

Das Artikel-10-Gesetz regelt, wie genau die im Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Grundgesetzartikel 10 Absatz 1 garantierten und mit Abs. 2 eingeschränkten Grundrechte durch Strafverfolger oder Geheimdienste zu handhaben sind. Die nun beschlossene Reform dieses Gesetzes, erweitert die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und zwingt Anbieter von Kommunikationsdiensten, die Sicherheit und Integrität ihrer eigenen Dienste einzuschränken, um Nachrichtendienste bei der Überwachung zu unterstützen.

Das „Gesetz zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts“ verpflichtet Internetprovider in seinem Paragraph 2 nicht nur zur Mitwirkung beim Aufstellen von Geräten, sondern auch bei der Bereitstellung von Informationen, die für das Einschleusen von Staatstrojanern notwendig sind. Und es ermöglicht den Geheimdiensten, alle Daten beispielsweise von Mobiltelefonen abzufragen. Kritiker monieren auch, dass die Sicherheitslücken, die für die Staatstrojaner offengehalten werden müssen, dazu führen, dass Kriminellen Tür und Tor geöffnet werde. – Außerdem sorgen sie für generell mehr Unsicherheit und mehr Misstrauen in der Bevölkerung.

Im schlimmsten Falle hieße das, Anbieter von Telekommunikations-Diensten müssten ihre eigene Kunden „ausspähen“ – was etwa die Linke im Bundestag „eine erzwungene Beihilfe zu staatlichem Hacking“ nennt, Verfassungsbeschwerden dagegen laufen bereits. Der Innen- und Digitalexperte Konstantin von Notz (GRÜNE) nannte das Gesetz in der Debatte „verheerend“ und findet es unerträglich, wie „ein so massiv in die Freiheit eingreifendes Gesetz unter 70 Tagesordnungspunkten im Innenausschuss einen Tag vor der Verabschiedung versteckt“ werden sollte.

mailbox.org-CEO Peer Heinlein dazu:

„Es versteht sich von selbst, dass Strafverfolger und Geheimdienste auch im 21. Jahrhundert mit modernen Mitteln ausgestattet sein müssen, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Niemand will die Strafverfolgung als solches verhindern oder untergraben. Und Strafverfolgung war und ist ja auch durchaus in der Vergangenheit möglich gewesen. Aber: Das gezielte Offenhalten von Hintertüren für eine sog. Quellen-TKÜ gefährdet unser aller Sicherheit und widerspricht den Grundrechten unserer Verfassung. Ein Rechtsstaat sollte alles dafür tun, die Sicherheit der Bürger zu schützen, nicht diese aktiv untergraben. Und auch die Gewaltenteilung ist ein zu hohes Gut, als dass Provider zur Mitwirkung verpflichtet und damit als Hilfssheriff herangezogen werden dürfen.

Die Eile, mit der die Änderungen durch das Verfahren durchgedrückt wurden, zeugen davon, dass sich die Verantwortlichen der Falschheit ihrer Entscheidungen durchaus bewusst sind. Wieder einmal hat die Bundesregierung die Vorgaben der Verfassungsrichter gezielt ignoriert, auch dieses Gesetzesvorhaben wird vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe scheitern.

mailbox.org wird sich auch zukünftig nicht als verlängerter technischer Arm der Ermittlungsbehörden verstehen. Wir werden weiterhin die Kommunikation unserer Nutzer schon dadurch schützen, dass wir den Einsatz von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung fördern, propagieren und technisch so einfach wie möglich machen. mailbox.org setzt weiterhin aktiv auf die Entwicklung von Technologien, die auch die beteiligten Provider selbst vom Inhalt der Kommunikation aussperren.“

Zusammen mit zahlreichen Mitstreitern hatte sich im Vorfeld der Entscheidung auch mailbox.org in einem offenen Brief gegen die Pläne der Bundesregierung gewandt, die eine „massive Ausweitung digitaler Überwachung“ und ein Verbot jedweder wirksamen Verschlüsselung vorsahen.

Die Unterzeichner, zu denen neben mailbox.org auch unsere Kollegen von Tutanota, mail.de, dem Chaos Computer Club, Facebook, Google und auch zahlreiche andere betroffene Dienste gehören, rufen den Gesetzgeber auf, keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen, die die Sicherheit aller Bürger gefährden.

Außerdem fordert der offene Brief, derlei wichtige Gesetzesvorgaben auch mit der gebotenen Sorgfalt zu erarbeiten, nicht in Eile kurz vor Ende einer Legislaturperiode. Es sei schließlich die Aufgabe von Bundestag und Bundesregierung, für eine Stärkung von Verschlüsselungsmethoden einzutreten, zum Schutze der Bürger, Firmen und generell der Integrität der digitalen Kommunikation, nicht diese zu schwächen.

 

Autor: Markus Feilner

 

Presseschau:

Golem, 10.06.2021: Koalition verschärft Vorgaben für Staatstrojaner-Einsatz
Heise Online, 10.06.2021: Bundestag gibt Staatstrojaner für Geheimdienste und Bundespolizei frei
Spiegel Online, 10.06.2021: Bundestag genehmigt Staatstrojaner für alle
Netzpolitik.org, 11.06.2021: Bundestag beschließt Staatstrojaner für Geheimdienste und vor Straftaten