Die Digitalstrategie im neuen Koalitionsvertrag 2025

Deutschlands Weg zur digitalen Souveränität
Der neue Koalitionsvertrag ist unterzeichnet – und die Digitalstrategie wird darin zu einer strategischen Säule für Deutschlands Zukunft. So wird Digitalpolitik im aktuellen Vertrag unmissverständlich als „Machtpolitik“ definiert. Doch was ist diesmal anders? Nach einem Jahrzehnt großer Ankündigungen und oftmals enttäuschender Umsetzung stellt sich die Frage: Darf Deutschland nun endlich auf konkrete Resultate statt bloßer Zielformulierungen hoffen?
Die neue Digitalstrategie: Souveränität als Kernprinzip
Die neue Koalition hat ihre Digitalstrategie unter das Leitbild „Digital. Souverän. Ambitioniert“ gestellt. Anders als frühere Ansätze wird die Digitalstrategie nicht mehr isoliert betrachtet, sondern ist eng mit geopolitischen, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Zielen verknüpft. Der zentrale Fokus liegt auf digitaler Souveränität – der Fähigkeit, im digitalen Raum selbstbestimmt und unabhängig handeln zu können.
Die Strategie umfasst dabei drei Kernbereiche:
- Digitalpolitik als Machtpolitik: Deutschland soll digitale Abhängigkeiten abbauen, indem es Schlüsseltechnologien selbst entwickelt, Standards sichert und digitale Infrastrukturen schützt. Dies beinhaltet den Aufbau europäisch integrierter und resilienter Wertschöpfungsketten – von Rohstoffen über Chips bis zu Hard- und Software.
- Digitalpolitik als Wirtschaftspolitik: Deutschland soll „auf die digitale Überholspur“ gebracht werden durch bessere Bedingungen für anwendungsorientierte Forschung, Gründungen und Transfer. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Aufbau von Rechenkapazitäten.
- Digitalpolitik als Gesellschaftspolitik: Digitale Kompetenzen aller Bürger sollen gestärkt werden, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und die Demokratie gegen Desinformation zu schützen.
Open Source als strategischer Schlüssel
Bei der Umsetzung der digitalen Souveränität spielen Open Source und offene Standards eine zentrale Rolle. Der Koalitionsvertrag 2025 sieht vor, dass Ebenen übergreifend offene Schnittstellen und Standards definiert werden und Open Source mit privaten und öffentlichen Akteuren im europäischen Ökosystem gezielt vorangetrieben wird. Anders ausgedrückt: Bund, Länder und Kommunen sollen gemeinsam an offenen technischen Lösungen arbeiten, die von allen genutzt werden können, statt geschlossene Insellösungen zu schaffen. Dafür sollen Institutionen wie das Zentrum Digitale Souveränität (ZenDiS), die Sovereign Tech Agency und die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) genutzt werden. Die Ankündigung, das IT-Budget strategisch auszurichten und konkrete Ziele für Open Source zu definieren, unterstreicht die Bedeutung offener Technologien als Grundlage digitaler Souveränität.
Von vagen Zielen zu konkreten Maßnahmen: Eine neue Ära?
Der Blick in die Vergangenheit zeigt, warum die aktuelle Strategie einen Wendepunkt darstellen könnte. Frühere Digitalstrategien litten unter vagen Formulierungen, unklaren Zuständigkeiten und mangelnder Finanzierung. Dies führte zu einer ernüchternden Bilanz bei Leuchtturmprojekten wie dem Breitbandausbau oder der Verwaltungsdigitalisierung.
In früheren Koalitionsverträgen variierte der Stellenwert der Digitalisierung erheblich: In der „Digitalen Agenda“ (2013-2017) war sie noch ein Randthema ohne strategische Vision, vorwiegend auf Breitbandausbau fokussiert. Die „Nationale Digitalstrategie“ (2017-2021) litt unter fragmentierten Zuständigkeiten und fehlender Koordination. Erst die „Digitalstrategie Deutschland“ (2021-2025) etablierte konkrete Handlungsfelder und messbare Ziele. Gescheitert sind diese Ansätze meist an der mangelnden Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, unzureichenden Finanzierungskonzepten und unrealistischen Zeitplänen – von vollmundigen Versprechungen blieb oft nur wenig übrig.
Was den aktuellen Koalitionsvertrag 2025 auszeichnet, ist die deutlich höhere Konkretisierung: Statt vager Absichtserklärungen werden messbare Ergebnisse angestrebt, etwa in der KI-Förderung, bei der Ansiedlung von „AI-Gigafactories“ oder beim Deutschland-Stack – einer Art digitales Betriebssystem für die Verwaltung, das KI, Cloud-Dienste und Basiskomponenten in einem System vereint. Die Umsetzungsverantwortung wird klarer benannt, und die Finanzierung erhält einen höheren Stellenwert. Dies könnte einen entscheidenden Unterschied zur bisherigen Praxis darstellen.
Wenn Geopolitik die Digitalpolitik bestimmt
Der neue Koalitionsvertrag bricht mit diplomatischen Floskeln: „Nicht vertrauenswürdige Anbieter“ sollen künftig „rechtssicher“ ausgeschlossen werden. Diese klare Positionierung spiegelt die neue geopolitische Realität wider, in der Technologie zum strategischen Machtfaktor geworden ist.
Diese Formulierung kommt in einer Zeit wachsender Spannungen nicht von ungefähr. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in tiefe technologische Abhängigkeiten begeben – sei es bei Cloud-Infrastrukturen, Betriebssystemen und Software aus den USA oder bei Netzwerktechnologien aus China. Was lange als rein wirtschaftliche Entscheidung galt, wird zunehmend als sicherheitspolitisches Risiko gesehen.
Maßnahmenpaket für digitale Souveränität
Die neue Koalition reagiert also mit einem umfassenden Maßnahmenpaket: Eine Deutsche Verwaltungscloud (DVC) mit souveränen Standards soll unkontrollierte Datenabflüsse verhindern. Der interoperable Deutschland-Stack soll europäisch anschlussfähig sein und in kritischen Infrastrukturen sollen künftig nur noch Komponenten aus „vertrauenswürdigen Staaten“ zum Einsatz kommen. Durch die strategische Ausrichtung des IT-Budgets auf Open Source soll der Staat zum „Ankerkunden für die digitale Wirtschaft“ werden – ein potenziell machtvoller Hebel für mehr digitale Souveränität.
Ausblick: Vom Ankündigungsmeister zum Umsetzungschampion?
Die zentrale Verankerung der Digitalstrategie im Koalitionsvertrag 2025 markiert einen wichtigen Wendepunkt für Deutschland. In einer Welt, in der digitale Technologien über wirtschaftliche Stärke und geopolitischen Einfluss entscheiden, kann Deutschland den digitalen Anschluss nicht länger versäumen. Die neue Strategie könnte mit ihrer Fokussierung auf Souveränität, Innovation und Open Source ein Umdenken einleiten. Entscheidend wird sein, ob Deutschland diesmal den Weg vom „Ankündigungsmeister“ zum „Umsetzungschampion“ findet. Die konkretere Zielsetzung und die geopolitische Einbettung deuten auf einen ernsthafteren Ansatz hin – die kommenden Jahre werden zeigen, ob Deutschland endlich den digitalen Aufbruch schafft.