Chatkontrolle: Etappensieg für die sichere Kommunikation der Europäer
Das EU-Parlament kippt kritische Punkte des umstrittenen Gesetzesvorschlags der EU-Kommission zur anlasslosen Chatkontrolle.
- Keine anlasslose Überwachung
- Ende-zu-Ende-verschlüsselte, interpersonelle Kommunikation darf nicht überwacht werden
- Dem Client-Side-Scanning wurde eine Absage erteilt
- Das Recht auf anonyme Kommunikation bleibt bestehen
Die Fraktionen des EU-Parlaments haben sich gestern auf eine gemeinsame Position zur verdachtsunabhängigen Massenüberwachung von Kommunikation geeinigt. Die entsprechenden Kompromisse wurden am selben Tag von den Verhandlungsführern des federführenden Innenausschusses (LIBE) vorgestellt. Der Innenausschuss wird am 13. November 2023 final über die Vorschläge abstimmen.
Die wichtigsten Positionen im Überblick
Keine anlasslose Überwachung
Die ursprünglich von der EU-Kommission vorgeschlagene flächendeckende Überwachung aller Nutzer wurde kassiert. Hier sollen nur noch einzelne Personen oder Personengruppen überwacht werden dürfen – und das nur mit richterlicher Genehmigung. Auch die derzeitige freiwillige Chatkontrolle privater Nachrichten (nicht in sozialen Netzwerken) durch US-Internetunternehmen soll schrittweise abgeschafft werden.
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und Client-Side-Scanning
Das EU-Parlament will das Vertrauen in eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung stärken. Daher darf die Ende-zu-Ende-verschlüsselte, interpersonelle Kommunikation nicht überwacht werden. Zudem wird die Nutzung des sogenannte Client-Side-Scanning ausgeschlossen, also die Installation von Überwachungsfunktionen und Sicherheitslücken in Smartphones.
Recht auf anonyme Kommunikation
Das EU-Parlament stärkt auch das Recht auf anonyme Kommunikation und will die von der EU-Kommission vorgeschlagene obligatorische Altersüberprüfung für Nutzer von Kommunikationsdiensten abschaffen. Whistleblower können somit weiterhin anonym Missstände aufdecken, ohne ihren Ausweis oder ihr Gesicht zeigen zu müssen.
Ein Schritt in die richtige Richtung
„Die Einigung des Innenausschusses vom 26. Oktober ist aus unserer Sicht ein essenziell wichtiger Schritt in die richtige Richtung, den wir begrüßen. Eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung der Kommunikation von Privatpersonen gefährdet nicht nur das digitale Briefgeheimnis, sondern ist auch grundrechtswidrig, da damit die Unschuldsvermutung, ein Grundsatz des Rechtsstaates, außer Kraft gesetzt wäre. Auch die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung soll nach den Vorschlägen des Innenausschusses weiterhin möglich sein. Auch dies sehen wir als Sieg für die Gedanken- und Meinungsfreiheit. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der endgültigen Abstimmung des Innenausschusses am 13. November und die darauffolgenden Trilog-Verhandlungen mit der EU-Kommission und den einzelnen Mitgliedsstaaten.
Unser Appell an die nationalen und Kommissionsverantwortlichen: Hören Sie auf die Verantwortlichen aus dem Innenausschuss und lassen Sie das Thema Chatkontrolle ein für alle Mal ruhen! Nicht nur werden auf diese Weise essenzielle europäische Rechte sowie rechtsstaatliche Prinzipien bewahrt, auch für das eigentliche Ziel der Chatkontrolle – der Schutz von Kindern und Jugendlichen online – gibt es zahlreiche Methoden, die dafür um einiges effektiver sind. Die Vorschläge aus dem Europaparlament bieten hier wertvolle Ansatzpunkte.“ Peer Heinlein, Gründer und Geschäftsführer von mailbox.org
Die Diskussionen um den Gesetzesentwurf, der ganz Europa mit einer Überwachungsmaschinerie bedroht, beschäftigt uns bereits seit einiger Zeit. Wir blicken mit Spannung, aber auch optimistisch auf die finale Einigung des Innenausschusses am 13. November 2023.
Aktuelles und Hintergründe
- heise online, 26.10.2023: Chatkontrolle: EU-Abgeordnete gegen Massenüberwachung
- golem.de, 26.10.2023: So will das Europaparlament die Chatkontrolle verhindern
- netzpolitik.org, 26.10.2023: Wie das Parlament das Ruder herumreißen möchte
- netzpolitik.org. 25.10.2023: „Ich habe mich noch nie so sehr mit Kollegen angeschrien“
- mailbox.org, 17.11.2021 Chatcontrol: EU will Verschlüsselung verbieten und Kommunikation überwachen